Gedanken zur Heiligtumsfahrt in Kornelimünster
Dem Heiligen begegnen
Heiliger Ort
Auf seinen Wegen kommt der Patriarch Jakob an einen bestimmten, aber noch namenlosen Ort. Dort hat er einen Traum: Himmel und Erde sind durch eine Treppe und die Engel Gottes verbunden, die auf dieser Treppe auf und niedersteigen. Die Berührung mit der Welt des Heiligen flößt Jakob Furcht ein, „und er sagte: Wie ehrfurchtgebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels. Jakob stand früh am Morgen auf, nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, stellte ihn als Steinmal auf und goss Öl darauf. Dann gab er dem Ort den Namen Bet-El (Gotteshaus)“ (Gen 28, 11-19). Durch die Erfahrung, die Jakob gemacht hast, ist dieser Ort nun ausgezeichnet. Hier steht der Himmel offen, genau hier kann der Mensch in Berührung mit der Welt des Heiligen kommen. Ähnlich ist es für Mose am brennenden Dornbusch. Als er sich die außergewöhnliche Erscheinung ansehen will, vernimmt er die Stimme Gottes: „Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.“ Einige Verse weiter sagt Gott Mose zu: „Ich bin mit dir; ich habe dich gesandt, und als Zeichen dafür soll dir dienen: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott an diesem Berg verehren“ (Ex 3, 5.12). Auch hier ist ein ausgezeichneter Ort, an dem Gottes Welt sich mit der Welt des Menschen verbindet.
Heiliger Name
Dies wird in einem Dialog zwischen Mose und Gott entscheidend weitergeführt. „Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen? Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der "Ich-bin-da". Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der "Ich-bin-da" hat mich zu euch gesandt. Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer, und so wird man mich nennen in allen Generationen“ (Ex 3, 13-15). Gottes Name ist eine Zusage. Er wird überall für sein Volk da sein, unabhängig von einem bestimmten Ort.
Der Heilige Gottes
Das Johannesevangelium greift die Erzählung vom Traum des Jakob in einem Wort Jesu auf: „Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn“ (Joh 1, 51). Der „Ort“, an dem das Heilige in die Welt einbricht, ist hier eine Person, der Menschensohn. Er ist der „Heilige Gottes“. Dies erkennen nach der Darstellung des Markusevangeliums zuerst die Dämonen (Mk 1, 23f vgl. Lk 4, 33f). Die dunklen Mächte, die den Blick auf das Licht des Heiligen verstellen, müssen dieses Licht besonders fürchten. Der, dessen Blick auf das Heilige verstellt ist, wird in der Begegnung mit dem Menschensohn geheilt.
Im Johannesevangelium bekennt Petrus: Jesus hat Worte des ewigen Lebens, er ist der Heilige Gottes (Joh 6, 68f). Was für die Menschen um Jesus zunächst an die Begegnung mit seiner Person gebunden war, ist seit seiner Auferstehung und der Aufnahme in den Himmel entgrenzt. Die Begegnung mit dem Heiligen geschieht nun vor allem im Wort, das uns Jesus als den Heiligen Gottes bezeugt. Allerdings besteht die Gefahr, dieses Wort als reines Menschenwort, als klug ausgedachte Geschichten zu verstehen (vgl. 2 Petr 2, 19).
Die Verehrung der Heiligtümer in Kornelimünster
Bei der Gründung eines Klosters in der Nähe seiner Aachener Pfalz übergab Kaiser Ludwig der Fromme drei Heiligtümer aus dem Reliquienschatz, den sein Vater in Aachen gesammelt hatte. Seit dem 14. Jh. werden sie alle sieben Jahre feierlich gezeigt und verehrt als das Tuch, mit dem Jesus seinen Jüngern beim letzten Abendmahl die Füße abgetrocknet hat, als ein kostbarer Grabteppich, in dem der Leichnam Jesu eingewickelt war, und das Schweißtuch, das um den Kopf des Leichnams Jesu gewickelt war und von den Jüngern fein zusammengefaltet im Grab gefunden wurde. Auch hier kann sich die Frage stellen, ob dies klug ausgedachte Deutungen sind, um die Bedeutung des Ortes zu steigern, an dem sie aufbewahrt werden. Bisherige Untersuchungen konnten nur feststellen, dass der Deutung nichts entgegen spricht. Selbst wenn wir sicher wüssten, dass diese Tücher echt sind, kämen wir nur soweit, dass sie mit einem Jesus zusammenhängen, der seinen Jüngern die Füße gewaschen hat und begraben wurde. Das Heilige, das uns in diesem Zusammenhang bezeugt wird, entzieht sich unserem Zugriff.
Bei der Zeigung der Tücher werden die Schriftstellen verkündet, mit denen sie in Zusammenhang gebracht werden. Wer sich auf die Verehrung dieser Tücher als Heiligtümer einlässt, kann seinen Glauben vertiefen, dass der Mensch Jesus, wie er uns in der Schrift bezeugt ist, wirklich der Heilige Gottes ist. So kann der Glaube an den Heiligen zurück gebunden werden an den Menschen Jesus, dass in ihm Himmel und Erde, Gott und Mensch verbunden sind.
Kranken wird das Schweißtuch aufgelegt. Dass kann sie an die Verheißung erinnern, dass auch ihnen das Leben zuteil werden soll, zu dem Jesus auferweckt wurde. In der ehrenden Begegnung mit dem Heiligen kann Seine Zusage erfahren werden: Ich bin da für dich. So kann aber auch körperliche und seelische Heilung geschehen.
Es ist die Verehrung der Heiligtümer, die den Ort auszeichnet, an dem sie aufbewahrt werden, nicht deren Besitz. Erst die gläubige Verehrung macht sie bedeutend. Die Bindung an den Ort und der Rhythmus von sieben Jahren führen dazu, dass sich zu einer Heiligtumsfahrt eine recht große Zahl von Menschen zusammenfindet. Der auch über die Generationen hinweg geteilte Glauben bezeugt: Hier ist ein Ort, wo Menschen dem Heiligen Gottes begegnen und daraus Kraft schöpfen.
P. Oliver J. Kaftan OSB
2007-05-20
Abbildungen: Marc Chagall, Jakobsfenster, St. Stefan in Mainz; Ernst Jansen-Winkeln, Kaiser Ludwig der Fromme übergibt die Heiligtümer an Benedikt von Aniane, Abteikirche Kornelimünster