Der alte Baum auf der Kapellen-Wiese
Das Jahr, in dem die Klosterwiese mir Zuhause wurde, kann ich nicht mehr nennen. Ich war jung damals, wuchs mehr und mehr, blühte im Frühling voller Freude, und schenkte im Herbst jede Menge Früchte. Die Mönche kamen und lagerten sie für den Winter im kühlen Raum unter ihrer Kirchenorgel. Ich wurde älter und schließlich alt, und irgendwann war es aus mit den Früchten. Auch die Mönche kamen nicht mehr, denn zum einen brachte ich ihnen keinen neuen Ertrag, und zum anderen waren auch sie älter geworden, und die Begabungen der jüngeren gehen in früher unbekannte Richtungen. Die Blätter kamen nur noch spärlich und dann gar nicht mehr. Mein Leben als prächtiger Apfelbaum war Geschichte geworden.
Mein Leben als Rentner danach? O ja, das Ende der Pracht war beileibe nicht das Ende von allem. Die Rinder waren immer noch da. Gelegentlich rubbelten sie sich an meiner rauen Rinde (… wahrschein-lich heißen sie deswegen Rinder J ), Larven und Holzwürmer entdeckten mich als Knabberköstlichkeit, die ich jetzt verschenkte, und der Specht entdeckte wiederum sie und klopfte einen ganz neuen Klang aus mir heraus. Der Wind und die Stürme zausten meine Äste. In Würde hielt ich mich aufrecht noch etliche Jahre
Und dann kam „Friederike“, die mich allzu stürmisch umwirbelte. Ich hatte gewusst, dass es einmal so kommen würde, aber ich hatte das immer wieder in eine ferne Zukunft weg-gedacht. Mein Stamm war nicht mehr stark genug standzuhalten, und er brach. Ich liege am Boden und nur noch ein Stummelrest steht aufrecht da. Was wird werden? Ich weiß es nicht …
Zwei Menschen stapfen über die verschneite und reichlich aufgeweichte Wiese. Sie kommen auf mich zu, gehen um mich herum, schauen hier und da genauer hin …, und lesen meine Geschichte: …
…die alte Baumkrone, die rubbelraue Rinde, das tiefe Wundloch des zerbröselten Kernholzes, die Fraßgänge der Raupen, das Spechtloch.
„Schade, dass es soweit ist,“ sagten sie, „aber auch jetzt ist er irgendwie schön, auf jeden Fall urig knorrig … und für manches Geziefer sicher auch so eine lustvolle Weide.“
Ich höre es, runzle ein wenig ungläubig meine faltige Rinde und bin’s doch hoch zufrieden. Ich weiß nicht, was werden wird,
… aber lassen wir das …
Albert Altenähr
2018-02-14
Aschermittwoch