Eine Bildbetrachtung
Der Tod einer Heiligen
Das Bild, das ich betrachten möchte, ist einem Zyklus entnommen, der in der „Capella vecchia – der alten Kapelle“ des römischen Nonnenklosters Tor de’ Specchi zu finden ist. Das Kloster ist von der hl. Francesca Romana gegründet worden. Sie starb 1440 und wurde vom Volk gleich nach ihrem Tod (und schon davor) als Heilige verehrt. Ihre offizielle Kanonisation erfolgte allerdings erst 1608. Der Bilderzyklus in der Kapelle mit Szenen aus ihrem Leben ist dagegen bereits 1468 entstanden. Er wird Antoniazzo Romano, einem Meister der römischen Frührenaissance, oder seiner Schule zugeschrieben.
Die Darstellung ist weniger eine historische Szene als Ausdruck einer Verehrung der Heiligen und der Glaubenshoffnung und –erwartung der Schwestern des von Francesca gegründeten Klosters, der Auftraggeber und Mäzene des Zyklus’ und des gläubigen Volkes. Es ist eine Predigt über das Leben, einen guten Tod und über das Paradies, das auf den Menschen wartet. Es ist wohl auch zugleich Bitte und Zusage, dass Francesca ihr caritatives Wirken zu Lebzeiten im Himmel als Fürsprecherin fortsetzt. Und schließlich ist es sicher auch ein Weg und Mittel gewesen, die Verehrung der Heiligen bei den Römern des 15. Jahrhunderts intensiv zu fördern.
Die Szene ist alles andere als realistisch. Sie ist idealisierend. Die Francesca dieses Bildes ist keine Sterbende. Francesca ist im Haus ihres Mannes in Trastevere gestorben, das jetzt ihrem Sohn gehörte. Von der Familie aber ist niemand dargestellt. Nur ihre Mitschwestern sind anwesend, so dass der Betrachter eigentlich gezwungen ist anzunehmen, dass er sich im Kloster von Tor de’ Specchi befindet. Die Nonnen des Klosters, die die Ausmalung in Auftrag gaben, waren so „besitzergreifend“, dass sie Francesca einfach als „unsere Mutter“ sahen und deren natürliche Familie aus der Sterbeszene ausblendeten.
Francesca hat sich die Achtung und Liebe der Römer durch ihr caritatives Engagement erworben. Ihre Klostergründung war revolutionär, weil sie eine Frauengemeinschaft ohne Klausur vor Augen hatte, um „draußen“ caritativ tätig sein zu können. Nahezu alle Fresken des Zyklus’ zeigen die Heilige als Wundertätige und Helferin der Menschen in der Stadt.
Der Tod Francescas aber ist als ein Akt des Gebetes dargestellt. Das ist der letzte Eindruck, den die Menschen in Erinnerung behalten sollen. Ihr Testament ist das Gebet, die Meditation, die Gottesbeziehung, die Hingabe in seinen Willen.
Auch ihre Mitschwestern beten. Während die Heilige ihre Augen gesenkt hält, schauen die Gefährtinnen sie an. Francesca und die Schwestern halten die Hände gefaltet. Dass eine der Schwestern weint oder ein anderes Zeichen der Trauer zeigt, ist nicht zu erkennen. Francesca scheint in diesem Zusammenspiel die Rolle eines Vorbilds, einer Meisterin und Lehrerin einzunehmen, dem ihre Schwestern nacheifern sollen und wollen: Seid vor allem Betende! … und: „Wir wollen Betende sein!“
Die Urfrage an den Tod „Was ist danach?“ kann nicht beschreibend, sondern nur andeutend umschreibend beantwortet werden.
Noch recht nüchtern kann man antworten: „Gott nimmt den Menschen zu sich.“ Auf unserem Fresko neigt sich Christus – identifiziert durch den Kreuznimbus – im Himmelskreis der nur mit einem Lendentuch bekleideten Seele der Verstorbenen zu, um sie in den Himmelsbereich hineinzuziehen.
Christus ist gekleidet in ein purpurrotes Untergewand, über den er ein tiefgrünes, reich besticktes Pluviale trägt. Die Schließe am Hals ist angesichts dieses prachtvollen Mantelgewandes allerdings sehr einfach.
Fünf in Purpurrot gemalte Engel umgeben Christus. Sie dürften die Kerubim sein, die in vielen Stellen der Heiligen Schrift als die Wesen gelten, über denen Gott thront.
Im Übrigen wird das „Danach“ sehr phantasievoll gezeichnet. Da ist zunächst der „Weg“ für die Seele vom Sterbebett zur Himmelsgrenze. Er ist ein Blumenteppich, an dessen Vorderkante eine Reihe von Öllampen in Becherform steht. Dieser Weg weckt mehrere Assoziationen.
Der alttestamentliche Prophet Jesaja malt die Schönheit der Vollendungszeit als eine Wüste, der Blütenpracht geschenkt wird: „Die Wüste und das trockene Land sollen sich freuen, die Steppe soll jubeln und blühen. Sie soll prächtig blühen wie eine Lilie, jubeln soll sie, jubeln und jauchzen. Die Herrlichkeit des Libanon wird ihr geschenkt, die Pracht des Karmel und der Ebene Scharon. Man wird die Herrlichkeit des Herrn sehen, die Pracht unseres Gottes“ Jes 35,1f).
Im Barock haben Ordensschwestern ihre Handarbeitsfähigkeiten gerne dazu genutzt, die Reliquien ihres Klosters als Blüten eines Blumenparadieses zu arrangieren. Die Stickarbeit an einem solchen Paradiesgärtlein-Reliquiar war für die Schwestern aus adeligem oder zumindest guten Haus standesgemäß und sicher auch irgendwie „fromm“.
Die Öllampen erinnern natürlich an das Gleichnis Jesu von den klugen und den törichten Jungfrauen. Die klugen Jungfrauen waren mit ihren Lampen bereit, als der Bräutigam des Gleichnisses unverhofft zu später Stunde eintraf. Sie durften mit ihm die Hochzeit feiern.
Der Benediktiner erinnert sich schließlich an eine Vision zweier Mönche, die Papst Gregor der Große im Zusammenhang mit dem Tod Benedikts erzählt. „An diesem Tag empfingen zwei seiner Brüder eine Offenbarung durch ein und dieselbe Schau; der eine hielt sich im Kloster auf, der andere lebte weiter entfernt. Sie sahen, wie eine Straße von seinem Kloster genau in östlicher Richtung bis zum Himmel reichte; sie war mit Teppichen ausgelegt und von zahllosen Lampen erleuchtet. Oben stand strahlend ein Mann von ehrfurchtgebietendem Aussehen und fragte sie, für wen dieser Weg sei, den sie sahen. Sie gaben zu, sie wüssten es nicht. Da sagte er zu ihnen: »Dies ist der Weg, auf dem Benedikt, den der Herr liebte, zum Himmel emporsteigt.« Somit sahen die Jünger, die zugegen waren, den Heimgang des heiligen Mannes mit eigenen Augen, die abwesenden erkannten ihn aus dem Zeichen, das Benedikt ihnen vorhergesagt hatte“ (Gregor d.Gr., Dialoge II 37,3).
Der Himmel innerhalb des Wolkenbandes ist zuvörderst der Ort Gottes. Unmittelbar um ihn herum sehen wir die Kerubim. Ganz wichtig ist aber offensichtlich das Engelorchester. Zwölf Engel spielen ebenso viele Instrumente.
(Orchester-) musik hat zweifellos auch 1468 zu einem Fest gehört. Den Schwestern des Klosters Tor de’ Specchi wurde ihre Schönheit in den Himmel gemalt und sie genossen sie als „himmlischen Traum“. Der Maler kannte die verschiedensten Instrumente und malte sie so getreu, dass man ihr Spiel zu hören meint.
Vielfältig sind in der Bibel des Alten Testamentes die Hinweise für die Tempelmusik. Und die Sammlung der Psalmen endet in Psalm 150 mit einem großen Musikfest im Haus des Herrn, wobei offen gelassen werden kann, ob hier „nur“ der Tempel in Jerusalem gemeint ist oder die himmlische Wohnstätte Jahwes:
Lobt Gott in seinem Heiligtum, * lobt ihn in seiner mächtigen Feste!
Lobt ihn ob seiner gewaltigen Taten, * lobt ihn in der Fülle seiner Hoheit!
Lobt ihn mit dem Schall der Posaunen, * lobt ihn mit Harfe und Leier!
Lobt ihn mit Pauke und Reigen, * lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel!
Lobt ihn mit hellen Zimbeln, / lobt ihn mit schmetternden Zimbeln! * Alles, was Atem hat, lobe den Herren!
Francesca wird in den Himmel aufgenommen. Er ist nicht allein der Ort Gottes und seiner jubilierenden Engel, sondern auch der erlauchter Heiliger. Wir erkennen Johannes den Täufer, Petrus und Paulus, Maria Magdalena und den heiligen Benedikt (im weißen Ordensgewand der Olivetaner, unter deren Führung sich die Schwestern von Tor’ de Specchi gestellt hatten). Während ich mir bei der Identifizierung von Johannes, Petrus, Paulus und Benedikt sicher bin, schließe ich – mit einem leichten Vorbehalt – angesichts des Salbgefäßes (?) in der Hand der weiblichen Heiligen, dass es sich um Magdalena handeln muss. Als Heilige der reuevollen Umkehr und der großen Liebe und, als Jüngerin intensivster Ostererfahrung und als „Apostolin der Apostel“ könnte sie durchaus den Schwestern von Tor de’ Specchi eine markante „Programm-Heilige“ gewesen sein.
Die vier Heiligen stehen „am Rand“ des Himmels, so als ob sie glücklich (und verwundert) sind, gerade noch hineingeschlüpft zu sein. Die Heiligen bleiben auch im Himmel „Randgestalten“. Sie sind es auch auf Erden. Wichtig ist letztlich allein, dass Gott selbst aktiv wird und den Menschen / die Seele in seine Wirklichkeit hineinzieht.
Wenn ich das Fresko noch einmal als Ganzes betrachte, dann scheint es mir durchaus als ein Programmbild für die Schwestern des Klosters Tor de’ Specchi lesbar zu sein. Es zeigt ihnen ihre Gründungsmutter als Vorbild, dem sie nacheifern wollen. Es spricht ihnen den Glaubens- und Sehnsuchtstraum eines – in Anführungszeichen und ohne diese! – himmlischen Zieles zu und es stärkt diese Botschaft, indem es „am Rande“ auch die ins Bild bringt, die „es geschafft“ haben.
Und … …: das Fresko kann ohne weiteres auch ein Programmbild für jeden von uns werden und sein.
Albert Altenähr OSB
2008-10-17
Das Kloster Tor de’ Specchi liegt mitten im Zentrum Roms zwischen den Treppen nach Ara Coeli bzw. zum Kapitol und dem Marcellus-Theater. Es ist nur zum Fest der Gründungsheiligen, 9. März, und an den März-Sonntagen zu besichtigen. Es gilt als das schönste Kloster Roms.