Ein Meditationsfenster
Eine Fenstermeditation
Hinschauen … - … geduldig
Lesen … - … wieder und wieder
Entdecken … - … Goldkörner
Übersetzen … - … ins Leben
Der Altenberger Dom ist ein Begriff, - ein Ort, den „man“ kennt, - von dem man vielleicht sogar etwas weiß: Zisterzienserkirche bis zur Säkularisation, heute eine „Simultankirche“ (hoppla, was ist das?), größtes Kirchenfenster nördlich der Alpen[1].
Acht schlanke Spitzbogen-Fenster sind zunächst zu vier, dann zu zwei, schließlich zu einem einzigen, breiten verbunden. Die Bogenspitze des Gesamtfensters, sein Couronnement, gehört nicht zum Urbestand, sondern ist eine neuzeitliche Ergänzung (1897)[2]. Schade, denn ihr Thema und seine Darstellung sind es, die mir – jenseits der kunstgeschichtlichen Sicht – auffallen.
In einer imaginären Zeitreise stehe ich als Mönch oder Pilger des 15. Jahrhunderts vor dem Fenster. Ich habe mich von unten nach oben durchgeschaut. Ich sehe ganz oben eine vierblättrige „Mandala-Blume“. In der Mitte ein Kopf-Bild, - in den vier „Blättern“ Engel, - zu Füßen (in den Bogenspitzen der unteren Fenster) links und rechts zwei Gestalten.
Ein Kreuzweg bzw. Kreuzigungsdarstellung.
Kreuzweg …, Kreuzigungsdarstellung … ?
Ja!
Allerdings sehr verfremdet, oder sagen wir besser: sehr „auf-gefremdet“, aufgebrochen aus der Schale einer eher narrativen „Historien-Darstellung“ mit Kreuz, Gekreuzigtem und INRI-Schriftzug heraus. In ihrer Auf-Fremdung ist die Komposition Zeugnis einer langen Meditation und Anregung zu eigener, persönlicher Kreuz-ÜberSetzung und Kreuz-EinTiefung.
In der Mitte eine achtblättrige dunkelblaue Blüte. In sie ist ein Haupt hineingezeichnet. Das helle Gesicht konturieren tiefe Augenringe (… fast wie eine große modische Brille …). Das dunkle Haupthaar ist vor dem Hintergrundblau kaum zu erkennen. Ebenso wenig das Kreuz des Heiligenscheins. Der Kreuznimbus identifiziert den Dargestellten eindeutig als Jesus Christus.
Die vier Engel um dieses Haupt tragen Kreuzigungs-Werkzeuge: (vom linken Engel aus im Uhrzeigersinn) (1) Geißelsäule und Geißel, (2) Dornenkrone, (3) Nägel und Hammer, (4) Lanze und Schwamm. Das präzisiert den Christuskopf in die Passionsgeschichte Jesu hinein.
Die „Nebenfiguren“ unter dieser bildnerischen Mitte sind Maria, die Mutter Jesu, und der Apostel und Evangelist Johannes. Maria schaut mit gesenktem Haupt zum „Gekreuzigten“ auf. Aus Luk 2,35 „ein Schwert wird durch deine Seele dringen“ - das Wort des greisen Simeon an Maria bei der Darstellung Jesu im Tempel – findet ein Schwert in die Szene unter dem „Kreuz“[3]. Im Hintergrund ist eine Stadt erkennbar. Joh 19,20 heißt es, dass der Ort der Kreuzigung „nahe bei der Stadt“ lag, d.h. außerhalb, vor den Mauern der Stadt.
Die Stadt ist auch Hintergrund für die Gestalt des Johannes (… wie könnte es anders sein?). Der Jünger stützt sein traurig gesenktes Haupt. Sein Blick geht ins Nirgendwo des Entsetzen. Im linken Arm trägt er einen Codex – sein Evangelium – mit Schließe und kostbar gestaltetem Buchdeckel. Der Arm und die Hand sind aus Ehrfurcht vor dem kostbaren Text und Buch mit einem Gewandbausch überdeckt.
Wenn wir die fast schon narrativen „Nebenfiguren“ aus dem Fenster wegdenken, dann verwandelt sich die Bogenhöhe des Fensters zu einem hochmeditativen Meditationsbild der (… mittelalterlichen …) Leidensmystik. Es erinnert darin an das bekannte Meditationsbild des Klaus von der Flüe[4], das durch eines der frühen Hungertücher von „Misereor“ weit bekannt wurde.
Der Mönch kehrt von seiner Zeitreise zurück in die Gegenwart. Ihn begleitet die Frage „In cruce salus – Im Kreuz das Heil … Wie sieht das in deinem Glauben heute aus?“
Albert Altenähr
2015-05-30
[1] Das Kloster Altenberg wurde 1133 gegründet, die gotische Kirche entstand zwischen 1259-1279. Das Fenster im Westwerk der Kirche stammt von 1394-97
[2] In der Kirche ausgelegte Faltblätter zum Fenster.
[3] Das „Stabat Mater – Christi Mutter stand mit Schmerzen“ (entstanden zwischen 1200-1300) hat das Schwert als Bild der Schmerzen Mariens „populär“ gemacht.
[4] Um 1460-1480. http://www.nvf.ch/rad1.asp