Ein Besuch im Diözesanmuseum Kolumba, Köln
Meditative Stolperkante
Das Kölner Diözesanmuseum gehörte bisher nicht zum „Muss“ meines Bildungshungers. Köln hat so viel Sehenswertes, dass mein Köln-Hunger auch ohne dieses Museum schon gut gesättigt war. Aber der Neubau des Museums durch den Schweizer Architekten Peter Zumthor hatte mich doch neugierig gemacht. Weniger die präsentierten Kunstwerke, sondern das Museum an sich lockte mich.
Die Räume des Museum Kolumba weiten den Besucher und führen ihn in die Weite. Ihr sparsames Spiel der ausgestellten Kunstwerke lässt jedes einzelne im Irgendwo ganz es selbst sein. Die Raumkonturen lösen sich farblich nahezu auf und die wandgroßen Fenster lassen Schwindel erregende Blicke herunter auf die Stadt der Menschen zu. Der Kunstraum Kolumba verwandelt die Menschenameise von da unten zum Kunst-Werk Gottes zwischen Himmel und Erde. Im Betrachten der einzelnen Kunstwerke und im Gehen durch die Raumweiten wird der Besucher sich selbst zur Frage. Wer bin ich? Wo stehe ich? Woher komme ich und wohin gehe ich?
Ich biege um eine Raumecke und orientiere mich mit einem kurzen Rundblick über die in diesem Raum dargebotenen Kunst-Stücke. Der kleine Museumsführer bleibt weggesteckt in der Tasche. So bildungsbeflissen bin ich nicht, dass ich auf Künstlerjagd gehe und Werk „xy“ mit „oh“ und „ah“ bestaune, weil es zu irgendeinem Bildungskanon gehört. Ich bin ein bisschen Banause, der auf das zugeht, was mir gefällt und mich neugierig macht.
Mitten im Raum auf dem Boden eine glänzende quadratische Aluminiumplatte. Auf den mir gegenüberliegenden Seiten ein Strichcode, wie ich ihn von jeder Ware beim Discounter und überhaupt kenne. Mein Spontangedanke: Was die Künstler so alles ‚Kunst’ nennen! Und Sammler geben dafür Geld aus und Museen meinen, das auch noch zur Museumswürdigkeit aufwerten zu müssen! Ein Blick in den kleinen Museumsführer lässt mich wieder einmal den Kopf schütteln über die ‚Titellyrik’ von Künstlern und Sachverständigen: „Bodenskulptur. ‚To see a landscape as it is when I am not there’“. Ziemlich hoch ins Philosophische aufgemotzt -, mein Gedanke. Ich wende mich Griffigerem zu.
Im Gehen von Kunstwerk zu Kunstwerk komme ich auf die andere Seite der … „Bodenskulptur“.
Da sehe ich auf der Kante der Aluminiumplatte den Titeltext „To see a landscape …“ und erkenne, dass der Strichcode, den ich schon beim ersten Hinsehen von der anderen Seite gesehen hatte, die Fortsetzung der Kopfenden der einzelnen Buchstaben des Textes ist. Die Raffinesse, die Buchstaben über die Kantenecke in einen Strichcode zu verwandeln, weckt mein Interesse an der scheinbar ach so banalen Aluminiumplatte.
„Eine Landschaft sehen, wie sie ist, wenn ich nicht da(rin) bin.“ Versinkt die Welt in glatte, konturenlose Flächigkeit, wenn ich nicht da bin, - wenn ich nicht mehr da sein werde? Bin ich wichtig in dieser Welt? Bin ich mit meinem Da- und Sosein vielleicht ein Störenfried, - einer der den Glanz und die Ruhe des Friedens stört? Hinterlasse ich Spuren, wenn ich mich verabschiede aus einem Wirkungsfeld, - aus einem Lebensumfeld, - aus dem Leben in den Tod? Bin ich ‚wer’? Und wer bin ich denn eigentlich?
Natürlich gibt die Platte keine Antwort. Aber sie ermutigt doch. Die so klar und einfach zu lesende Schrift „To see a landscape … - Eine Landschaft sehen …“ verwandelt sich auf der Fläche der Platte zum Fingerabdruck meines Lebens, Wirkens und Denkens. Die Strichcodierung mag mir selbst ein Rätsel mit sieben Siegeln bleiben und erst recht vielen anderen, aber sie drückt aus, dass ich da war, - dass ich von Bedeutung war und bin, - dass ich die „Landschaft“ geprägt habe. Wenn ich auch mich selbst kaum enträtseln kann, … ich bin ‚wer’!
Inzwischen habe ich nachgelesen, dass die Bodenplastik von Roni Horn, einer amerikanischen Künstlerin, gestaltet wurde, und ich habe mich auch weiter über sie informiert. Den Namen werde ich so schnell nicht vergessen.
Auch über die Aufschrift habe ich mich informiert. Es ist ein Zitat von Simone Weil, der jüdischen Mystikerin, die mir schon mit manchen anderen Worten begegnet ist und mich angeregt und bereichert hat.
Das Museum Kolumba ist voll leidiger Stolperkanten, so dass ich ihm nur wünschen kann, dass sein Beschwerdebriefkasten groß genug und es gut gegen Unfälle seiner Besucher versichert ist. Die Mini-Stufen-Kanten sind nicht besucher-, geschweige denn behindertenfreundlich. Drei Besucher sah ich allein bei diesem Besuch, die buchstäblich aus dem Tritt kamen. Da waren Architekt und Bauherr zu sehr abgehoben Künstler und zu wenig bodenhaftig Mensch.
Die Bodenplastik „To see a landscape …“ ist eine gedankliche Stolperkante, die Nachdenklichkeit in Bewegung bringt. Mit dieser Stolperkante habe ich Freundschaft geschlossen.
Abt Albert Altenähr OSB
2007-10-15