Von der Freiheit des Betens
Schreiben
Die Atemnot
artikulieren
Die Syntax
bestreiken
So tun als ob
es Ausreden gäbe
für Kyrieleis
(Eva Zeller)
Seit etwa 25 Jahren greife ich immer wieder einmal zu einem kleinen Gedichtband „Das Wort ins Gebet nehmen“. Seine geistlichen Impulsgedichte haben mich stets in neues Nachdenken geführt. So auch das nebenstehende Gedicht von Eva Zeller.
Eva Zeller nennt ihre Zeilen „Schreiben“ und sie reflektiert in ihnen, was sie drängt und bedrängt, wenn sie zur Feder greift. Ich übersetze ihr „Schreiben“ gerne in das, was mich als Benediktiner umtreibt, wenn das Zeichen zum Gottesdienst ruft: „Beten“. Ja, was ist es, wozu mich die Glocke ruft?
In Buch Genesis vollendet Gott den Menschen, indem er ihm den Atem einhaucht. Ich will es so deuten: Adam lebt aus dem Atem Gottes, - aus ihm wird er ein lebendes, ein lebendiges Wesen. Der letzte Vers des Psalters dichtet dieses lebendige Leben als Gotteslob: „Alles, was Atem hat, lobe den Herrn.“
Eva Zeller spricht in ihren Zeilen von Atemnot. In meiner Übersetzung ist diese Atemnot Lebens- und Gottesnot. Ich spüre allüberall den Mangel an Leben und an Gott - in mir selbst, - in der Welt. Mich verlangt nach mehr Leben und nach mehr Gott. Dieses Verlangen will mein Beten hinter allen seinen Einzelworten ins Wort bringen. Das ist das eine Wesentliche in dem bunten Vielerlei der Worte und Riten: Ich will Leben, - ich will Gott, - ich will DICH.
Eva Zeller will die Syntax bestreiken. Syntax -, das ist Ordnung und Muster -, das ist Regel und Klarheit, damit das Gegenüber meine Worte versteht. Genau auf solch wohlgesetztes Sprechsystem will Eva Zeller verzichten, - genau darauf darf der Beter verzichten. Das Ungereimte meines Lebens braucht im Gebet nicht versteckt zu werden. Hier kann alles zur Sprache kommen. Gott schenkt Redefreiheit. Nicht ich muss sortieren, e r sortiert das Puzzle meiner Gefühle, meiner Worte, meines Lebens und weiß, wie es in das große Puzzle des Reiches Gottes hineinpasst. Diese Freiheit erlaubt mir auch, das Nicht-Verstandene und vielleicht auch Nicht-Verstehbare in den vielen Psalmenworten eines Gottesdienstes stehen zu lassen und es zu beten. Du, Gott, weißt schon, was du damit anfangen kannst.
All unser Beten, ob es nun ganz privat geschieht oder in einem großen Gottesdienst, macht viel zu viele Worte. Jesu Mahnung, genau das nicht zu tun (Mt 6,7), hat offensichtlich wenig gefruchtet. Und auch Benedikts Mahnung, Beten nicht als „Wortmassen-Veranstaltung“ zu zelebrieren (RB 20,4f), hat nichts von ihrer Bedeutung verloren. Vielleicht „müssen“ wir einfach (zu) viele Worte machen. Vielleicht können wir als Menschen gar nicht anders als mit immer wieder anderen und neuen Worten auf das Eine hinweisen.
Eva Zeller erkennt dieses Eine in dem „Kyrieleis - Herr, erbarme dich“. Das ist ihre Kurzformel des Gedichte-Schreibens, - das Schlussstein-Wort, in dem das Gewölbe der Gebetsworte gehalten ist. Selig, wer ein solches Mitte-Wort gefunden hat. Selig, wer Sein Wort als Mitte wagt. In Ihm ist Freiheit.
Abt Albert Altenähr OSB
2006-06-27