Ostergedanken in der Grabeskirche St. Josef, Aachen
Das Grab ist leer
Sehr früh am Morgen des dritten Tages gingen die Frauen zum Grab Jesu und erlebten ihr Osterwunder: das Grab ist leer. Der Schrecken des Todes erhält für die Hinterbliebenen noch einmal eine ganz neue Dimension. Ihnen wurde nicht nur der Meister genommen, - jetzt wird ihnen auch noch der Ort genommen, wohin sie ihre Trauer tragen könnten. Gräber der Geliebten waren seit Urzeiten und sind es wohl auch für alle Zeiten ganz besondere Orte. Sie sind Orte der Er- und Verinnerung einer lebendigen Beziehung. Sie sind Bezugspunkte, zu denen ich immer wieder hingehe. Sie sind Orte meines Lebens.
Über dem leeren Grab in Jerusalem erhebt sich seit den Zeiten des Kaisers Konstantin die große Kirchenanlage der Grabeskirche. Die Jahrhunderte mit ihrer wechselhaften Geschichte haben sich ihr eingeschrieben. Immer aber ist sie eines geblieben: Kirche des Grabes Jesu, - Kirche seines leeren Grabes. Auch Golgata, der Kreuzigungsplatz, ist Teil dieser Kirchenanlage, aber der Felsen von Golgata ist nicht die Brennpunktmitte der Jerusalemer Grabeskirche. Mitte und Kristallisationspunkt ist das leere Grab.
Wir nennen die Kirche in Jerusalem „Grabeskirche“. Die ostkirchlichen Tradition nennt sie „Anastasis“, das ist „Auferstehungskirche“. Man sollte vielleicht ein wenig bei dieser unterschiedlichen Benennung verharren.
Gründonnerstag, Karfreitag, der Samstag und der Ostermorgen sind eine Tagesfolge, die einen Weg aufleuchten lassen. Diesen Weg sind die Osterpilger in Jerusalem immer wieder nachgegangen und haben ihn als Impuls zur tieferen Christusnachfolge erlebt. Seine Stationen sind der Abendmahlssaal, der Garten von Getsemani, Golgata mit seinem Kreuz und das Grab als Ort der Grablege und der Auferstehung. Mir will scheinen, dass unser Name „Grabeskirche“ noch ganz stark den Leidensweg der Kartage mit sich genommen hat. Vielleicht entspricht das auch der westlichen Spiritualitätsentfaltung, die sich in der gotischen Kreuzgestaltung, der Leidensmystik oder in den Bildnissen der Kreuzabnahme und der Pietà widerspiegelt.
Wenn die Ostkirche den Namen „Anastasis“ verwendet, dann akzentuiert sie den Ostermorgen und den heißen Glauben, dass die Zeit des neuen Himmels, der neuen Erde und des neuen Menschen angebrochen ist. Die Auferstehungsikonen des Ostens zeigen sehr oft den Sieger Christus, der die Pforten der Unterwelt zerbrochen hat und zusammen mit den Verstorbenen in den Himmel auffährt. „Anastasis“ ist ein Name gefüllt mit den Botschaften von Freiheit und Zukunft.
Beide Aspekte dürfen, ja müssen sich ergänzen und können sich wechselseitig korrigieren und bereichern. In ihrer Spannung sind sie der eine Atem christlichen Glaubenslebens.
Das waren meine Grundgedanken für diese Ostergedanken der Kirchenzeitung, als ich in den letzten Wochen die Kirche St. Josef in Aachen besuchte. Als Pfarrkirche wurde sie aufgegeben. Als Urnenbeisetzungskirche hat sie eine neue Bestimmung gefunden.
Ich weiß um den Schmerz und die Diskussionen um die Aufhebung der eigenständigen Gemeinde und die Zusammenlegung mit der Nachbargemeinde. Ich weiß um die Diskussionen über die Erhaltung und sinnvolle Weiternutzung des Kirchgebäudes. Da mag der Kopf vieles verstehen, aber Herz und Bauch sprechen durchaus noch einmal eine andere Sprache.
Vielleicht bin ich aber auch der „fremde Mönch“, von dem der heilige Benedikt in seiner Regel spricht und der den Abt des Klosters auf dieses oder jenes aufmerksam macht, was der Abt in seinem vertrauten Kloster nicht, noch nicht oder nicht mehr sieht. Benedikt ist so mutig, den Abt auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass vielleicht Gott selbst den Fremden geschickt hat, um auf nicht Gesehenes hinzuweisen (Regel Benedikts, Kap. 61).
Als ich mich für meinen Besuch ein wenig einzustimmen versuchte, fand ich im Internetauftritt der Kirche die Überschrift „Grabeskirche St. Josef“. Die Seitenschiffe der Kirche sind jetzt durch Stelen geprägt, in die Urnen eingesetzt werden können. Viele Urnen haben dort Platz, … viele „Gräber“ geliebter Verstorbener. St. Josef will aber nicht als Gräberkirche verstanden sein, sondern als Grabeskirche. In dieser Bezeichnung sucht die Kirche die Nähe zur Kirche des heiligen Grabes Jesu Christi in Jerusalem. Sterben und Tod sind durch den Namen „Grabeskirche“ hineingebettet in Sterben und Tod des Herrn. Die Graburnen sind hineingestellt in den geistigen Raum der Jerusalemer Grabeskirche.
Für die Beisetzung der Graburnen sind in den Eingangsbereich und die Seitenschiffe von St. Josef Stelensäulen aufgestellt, in die die Urnen eingefügt werden können. Naturgemäß sind heute noch sehr viele Urnennischen frei. Es sind gewissermaßen noch … leere Gräber.
Es sind … noch leere Gräber. Sie warten auf den einen oder anderen aus unserer Mitte. Diese Leerplätze können einen jeden von uns an seine Sterblichkeit erinnern. Mitten in unsere fromme oder kunstkritische Lebendigkeit, die sich fragt, ob man einen Kirchraum so umnutzen dürfe und ob die Gestaltung gelungen ist, fällt uns die Botschaft von der eigenen Sterblichkeit an. Es gibt in meinem Leben eine Leerstelle, die ich nur mit meinem Tod füllen kann und auch mit ihm füllen muss. Diese Leerstelle, das Grab, wartet auf mich. Es ist meine letzte irdische Heimat.
So leer, wie die Urnenstelen von St. Josef heute, Ostern 2007, noch dastehen, sind sie mir aber auch Andeutung und Vorausschau dessen, was die ostkirchlichen Ikonen vom Sieg des Auferstandenen über die Türflügel der Unterwelt malen. Die Gräber, die letzte irdische Heimat des Menschen, sind nicht das letzte Wort des Erdenlebens. Sie werden leer werden, - die Gräber. Ihre Toten werden mit dem Toten aus dem Grab von Jerusalem aufstehen und sich die neue Stadt Jerusalem erleben.
Die Stelen in St. Josef sind bereit, vergängliche Asche aufzunehmen. Leer, wie sie großenteils jetzt noch sind, sind sie aber auch Fanal der Hoffnung und des Glaubens über ihre nahe Gebrauchsgeschichte hinaus: die Urnenischen sind leer. Mein Grab wird einmal wieder leer sein. Im Herrn werde ich mein ganz persönliches Osterwunder erleben: das Auferstehen in ewiges Leben.
Abt Albert Altenähr OSB
2007-03-23
Für die Kirchenzeitung Aachen, Ostern 2007.