Brief des heiligen Benedikt an einen Mönch
Himmelreich, am 10. Juli 2010
Lieber Bruder Albert,
ich freue mich, von dir zu hören, dass ihr im Kloster am 11. Juli meinen Festtag feiert, obwohl er auf einen Sonntag fällt. Als ich dem lieben Gott davon erzählte, schaute er mich zuerst ein wenig aus den Augenwinkeln an, als ob er sagen wollte: „Du bist ja ganz schön eitel, dass du mir den Sonntag streitig machst“, aber dann lachte er: „Freuen wir uns doch einfach miteinander – du über dein Fest und ich über meinen Sonntag. … und schreib dem Bruder Albert, dass er sich einfach mit uns doppelt freuen soll.“
Damit hat der liebe Gott den Nagel auf den Kopf getroffen. Man wirft mir immer wieder vor, dass ich in meiner Klosterregel so nüchtern sei und zu wenig die große spirituelle Vision entwerfe. So ganz kann ich dem nicht widersprechen, aber ich will es auch nicht einfach so gelten lassen. Meine Vision ist der Himmel, oder wenn du es gerne etwas konkreter möchtest: das Evangelium, und um es noch einmal anders zu sagen: Jesus Christus.
Den Himmel habe ich am Ende meiner Klosterregel Regel in den Blick genommen, als ich von der Himmelsheimat sprach, nach der mich verlangt. Jesus Christus ist der, den ich mehr und mehr in mein Leben hereinholen möchte. Er ist die Mitte, an der ich mich festmache und die mir der Kompass meines Lebensweges ist. Und dann ist da noch das Evangelium, das ich mir als Lern- und Lesebuch des Glaubens gewählt habe.
Das Evangelium -, ja, was ist das eigentlich? Das Evangelium -, das ist mehr als die vier Bücher, die wir landläufig „die Evangelien“ nennen. Ich verstehe es ganz einfach als das große Erzählen von unserm Gott und all dem, was er Gutes für die Menschen getan hat und tut. Es sind die unendlich vielen Buchstaben der großen Geschichte und der vielen kleinen Geschichten seiner Liebe zu den Menschen. Aus diesen Buchstaben haben sich das Tanzlied der Mirjam nach dem Durchzug durch das Rote Meer, das frohe Lied des Magnificat der Mutter Jesu geformt, die Psalmen und viele andere Lieder, die uns die Alten überliefert haben.
Evangelium, Erzählung der jubelnden Liebe Gottes -, das ist schließlich in ganz besonderer Weise Jesus selbst und seine Auferstehung am Ostermorgen. Da hat Gott seinen Buchstabenreichtum zum ganz großen Wort der Liebe zusammengebunden. Jesus ist mir zum Liedmeister meines eigenen Singens geworden. Ich glaube, Gott Vater, Jesus und vor allem der Heilige Geist werden jetzt schmunzelnd die Stirn runzeln und in meine Himmelsakte hineinschauen, ob mein Lebenslied wirklich so strahlend hell und klar wurde, wie sich das aus meinen Zeilen anhören mag. Ich weiß nicht was da drin steht, aber offensichtlich hat es mir Schwung genug gegeben, dass ich am 21. März 547 an die Himmelspforte anzuklopfen wagte, … und man hat mich hineingelassen.
Lieber Bruder, ihr habt in eurer Welt heute den Brauch, die Kinder am Ostertag Ostereier suchen zu lassen. Vielleicht ist es einmal eine Anregung für dich ganz persönlich, am Ostertag selbst und an den 51 anderen Sonntagen des Jahres, dich nicht nur an den Oster- und Frühstückseiern zu freuen, sondern dich zu fragen, wo Gott dich in der vergangenen Woche Gutes und Schönes hat erleben lassen. Du findest bestimmt etwas!
Wenn ich noch einmal lese, lieber Bruder Albert, was ich dir bisher geschrieben habe, dann wundere ich mich genau so, wie du es wahrscheinlich tust. So locker und freudig kommt meine Klosterregel gar nicht daher. So liest man sie auch selten (… viel zu selten!). Die kleinen Regeln für dieses und jenes und ein Drittes scheinen in meiner Klosterregel viel wichtiger zu sein. Sie sind wichtig, - sehr wichtig sogar, aber sie wollen alle unter dem Vorzeichen der Freude Gottes an den Menschen und des Menschen an Gott gelesen werden.
Was aber ist an den kleinen Bestimmungen meiner Klosterregel so wichtig? Vielleicht viel weniger der konkrete Einzelfall, wie er mir vor mehr als 1500 Jahren in meinen Klöstern unterkam und wie ich solche Einzelfälle zu regeln versuchte, als die Notwendigkeit von Regeln an sich.
Wenn ich heute die Regel schreiben müsste, würde ich mich mit ganz anderen Situationen auseinandersetzen müssen und entsprechend anderes bestimmen als damals.
Wichtig ist mir vor allem eins. Der große Glaube und die überbordende Freude an Gott darf sich nicht in frommen Worten und Gedanken erschöpfen. Die Alltage mit all ihren Alltäglichkeiten sind der Ort, an dem der Himmel sich erden will. Und ich habe vom lieben Gott die Erfahrung des ersten Schöpfungstages erzählt bekommen, dass die Irre und Wirre, die ihr auch heute noch mit der Sprache des Moses das „Tohuwabohu“ nennt, keinen Platz lassen für ein glückliches, ein gelingendes und geistliches Leben.
Wo es Regeln gibt, da kann sich das Spiel entfalten. Wer sich nicht an Regeln halten kann und will, der verdirbt das Spiel. Schau einfach mal in ein großes Musikkonzert hinein. Jedes Musikinstrument hat seinen Part und jede Note, was ist sie anderes als eine kleine „Regel“ in der großen Musik, die eine Freude werden und viel Freude bereiten will.
Lieber Bruder, wenn du diese oder jene Regel ändern willst …, - gut, warum nicht? Aber tu es nicht allein und einfach so, … weil es doch eine Bagatelle ist, sondern rede mit Gott, dem Komponisten, - mit dem Kapellmeister, deinem Abt, - und mit den anderen Brüdern an ihren Notenpulten. Gemeinsam werdet ihr eine Antwort finden.
Lieber Bruder Albert, … was ich dir wünsche? … dass du selbst ein kleines Evangelium wirst, das die Menschen sehen und an dem sie ihre helle Freude haben. So gibst du die Freude weiter, die Gott an dir hat.
Ich wünsche dir Freude an meinem Festtag und am Sonntag Gottes.
Dein Ordensvater Benedikt
Albert Altenähr OSB
2010-01-16
Veröffentlicht in: Die Botschaft heute. Kontexte zu Liturgie und Predigt, 5/6, 2010, S. 192.
Fotos: Benedikt-Fenster von Ernst Jansen-Winkeln in der Abtei Siegburg. Das zweite und dritte Bild zeigen die Identifikations-Symbole des Heiligen, den Raben mit einem Brot und den zerbrochenen Kelch, aus dem eine Schlange herauszüngelt.