Interview mit der „Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten“
Fasten
Ausgabe vom 21. Februar 2004, Samstag vor Aschermittwoch. Die Übernahme des Interviews in unsere Homepage geschieht mit Zustimmung der Redaktion. Das Interview wurde am 25.2.2006 noch einmal von der „Rheinischen Post“ und von der „Schwäbischen Zeitung“ veröffentlicht.
Jubel, Trubel, Heiterkeit – aber am Aschermittwoch ist alles vorbei. Dann beginnt die bis Ostern dauernde Fastenzeit. Was hat sie uns heute noch zu sagen? Darüber sprach Andreas Herkens mit Albert Altenähr, dem Abt der Benediktinerabtei in Aachen-Kornelimünster.
AZ: Jetzt feiern die Jecken, aber am Mittwoch ist Schluss mit Lustig – die Fastenzeit fängt an. Braucht der Mensch nach der Ausgelassenheit einen Dämpfer?
Abt Albert Altenähr: Vielleicht muss man die Sache eher umgekehrt sehen. Das Fasten stand vorneweg. Und weil man sich auf das Fasten einstellte, wollte man vorher noch einmal ein wenig auf die Pauke hauen. Der Name Fettdonnerstag spricht eindeutig davon, dass man, bevor man richtig fasten kann, noch einmal richtig essen muss.
AZ: Wo liegt der Brauch der Fastenzeit begründet?
Altenähr: Die Fastenzeit ist eine Zeit von 40 Tagen, und die Zahl 40 hat in der Bibel eine ganz große Bedeutung. Es ist eine Erinnerungszeit an die 40 Jahre der Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste, an die 40 Tage und Nächte, die der Prophet Elia durch die Wüste zum Gottesberg Horeb geht, und es ist eine Erinnerungszeit an die 40 Tage, die Jesus selbst in der Wüste verbracht hat. Bei allen drei Fällen ist die Wüste ein ganz wichtiger Begriff. Es ist wahrscheinlich die uralte Erfahrung, dass gerade in Zeiten der Kargheit Lebensfragen in den Menschen auftauchen, die eine Antwort suchen. Es ist letztlich die Frage nach dem tragenden Grund des Lebens.
AZ: Hat sich dieser Ansatz im Laufe der Jahrhunderte verändert?
Altenähr: Sicher gibt eine jede Zeit ihre Akzente in eine solche Tradition hinein. Da ist der Bekehrungsgedanke, der Gedanke der Einkehr, der Umkehr, des Neudenkens. Andere Zeiten betonten stärker den äußeren Verzicht, das Nicht-essen und überhaupt den Verzicht.
AZ: Das ist wohl auch heute der geläufigste Punkt.
Altenähr: Allerdings mit einem durchaus anderen Inhalt: um körperlich fit, um schön zu werden oder zu bleiben, um die Figur wieder in Form zu bringen, nachdem man um Weihnachten herum ein bisschen üppig gelebt hat. Vergessen, sollte man aber nicht, dass die Fastenzeit immer auch verbunden ist mit einem Engagement der Hilfsbereitschaft. Wenn wir uns zurücknehmen, wollen wir uns öffnen für andere.
AZ: Was ist denn für Sie der wichtigste Aspekt?
Altenähr: Sich aus der Verschlossenheit zu lösen. Nicht mehr nur um sich selbst kreisen, sondern aus sich herausschauen und sich neu nach der Perspektive des Lebens zu fragen. Dies zielt hin auf ein Aufstehen aus den Sesseln der Bequemlichkeit, zielt – religiöser ausgedrückt – auf Auferstehung, auf neues Leben, auf neue Lebendigkeit. Das kann jeder Mensch machen. Wer sich darauf einlässt, wird nicht mehr ein Getriebener sein, sondern ein Gestaltender.
AZ: Fastenzeit ist also nicht nur eine Sache des Verzichts ...
Altenähr: Ganz sicher ist es das auch, aber es ist in viel stärkerem Maß eine Zeit des Bejahens. Fastenzeit heißt für mich eigentlich nicht Trauerzeit, weil ich doch so ein armer Sünder bin und jetzt Buße tun muss, sondern es ist Vorbereitungszeit auf das freudige Ereignis Ostern, auf die Erwartung einer neuen Geburt zu einem lebendigen Leben.
AZ: Wie halten Sie es mit dem Fasten?
Altenähr: Wir haben in unserem Kloster, was das Essen angeht, eine relativ bescheidene Fastentradition. Wir haben uns als kleines Zeichen dafür entschieden, dass wir in der Fastenzeit zum Mittagessen kein Fleisch anbieten. Der Aschermittwoch und der Karfreitag sind so genannte strenge Fasttage, an denen es zum Frühstück nur Kaffee und Brot und Butter/Margarine gibt.
AZ: Glauben Sie, dass der Fastengedanke in der heutigen Gesellschaft überhaupt noch eine große Rolle spielt?
Altenähr: Ja, in einer Variation. Nicht wenige Menschen leiden unter der Sinnleere ihres Lebens. Wir bekommen immer wieder Anfragen von Leuten, die mitten im Leben stehen, die etwas suchen, die eine Auszeit wollen. Eine Auszeit, in der sie Ordnung in ihr Lebensgetriebe bringen wollen. Wie steht’s eigentlich mit meinem Lebenskonzept? Das sind Menschen in allen möglichen Lebenssituationen und aus jeder Gesellschaftsschicht.
AZ: Ist die Nachfrage für die Fastenzeit größer als sonst?
Altenähr: Das ist über das Jahr eigentlich mehr oder weniger gleichmäßig verteilt. Viele sind auf der individuellen Suche nach einer individuellen Fastenzeit.
AZ: Warum sollte man die Fastenzeit denn besonders begehen?
Altenähr: Ich möchte antworten mit einem Gedichtzitat von Nelly Sachs: „Hatte Er uns gepflanzt einst zu lauschen / wie Dünengras gepflanzt, am ewigen Meer, / wollten wir wachsen auf feisten Triften, / wie Salat im Hausgarten stehen“. Die Frage, die sich manche sicher stellen, ist: Lebe ich mein Leben nicht wie ein Salat im Hausgarten, so feist und fett? Und dieses Lauschen wie Dünengras am ewigen Meer: ein fantastisches Bild – da ist doch was...! Ich möchte mich hinaushorchen auf diesen Ruf und Laut hin ...
AZ: Diese Suche muss jeder für sich angehen ...
Altenähr: Ja, aber es ist gut, Rückzugsräume zu kennen und gelegentlich wahrzunehmen. Das können Klöster sein, das kann aber auch in der eigenen Wohnung ein bestimmter Sessel sein, in den ich versinke, und um mich herum ist eine Aura. Das sollten auch Stunden oder Zeiten sein, die ich mir nehme. Eine wichtige Zeit ist die erste Zeit am Morgen.
AZ: Wie wollen Sie jungen Leuten, die in einer Überflussgesellschaft aufwachsen, den Gedanken der Fastenzeit, des anders Orientieren, nahe bringen?
Altenähr: Ich glaube, wir müssen uns fragen: Was ist ein junger Mensch? Oder wie lange dauert es, bis ein junger Mensch zu solchem Fragen vorstößt? Ich habe den Eindruck, dass der Prozess des Erwachsenwerdens heute sehr viel länger dauert als noch vor 40 Jahren. Meine Erfahrung ist, dass die diesbezüglich Fragenden eher auf die 30 zugehen oder darüber hinaus. Das große Angebot, das wir heute allgemein haben, ist zunächst so faszinierend, dass die ganz tiefen Fragen erst einmal gar nicht an uns herankommen. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es ganz wichtig ist, dass die Menschen und gerade auch die jungen Menschen sich glaubwürdigen Zeugen gegenübersehen. Die theoretische Botschaft überzeugt den Kopf, der Zeuge lockt das Herz.
Bild: Ausschnitt aus dem Misereor-Hungertuch 2004.