Hinführungsgedanken in das Tagungsthema 2005 der „Arbeitsgemeinschaft Benediktineroblaten“, St. Ottilien, 17.-20.Mai 2005
„Ducantur ad orationem“ – Die Psalmen als Weg zur Gottesbegegnung
Die lateinische Überschrift „Ducantur ad orationem – Sie sollen zum Gebet geführt werden“ ist dem Kapitel der Regel Benedikts über die Gastaufnahme entnommen (RB 53,8). Der Aufenthalt des Gastes im Kloster soll im Gebet eingebettet sein. Der Gast tritt in einen Raum des Gebetes und durch dieses Pfortenzimmer in das Haus Gottes. Gebet und Gebetsschulung ist auch heute eine weit verbreitete Sehnsuchtserwartung in der Begegnung mit einem Benediktinerkloster.
Benedikt spricht außerordentlich detailliert über das Gebet seiner Gemeinschaften. Er regelt seine Struktur und bis ins einzelne hinein die Verteilung der Psalmen. Die Breite dieser Ausführungen kann zu der Meinung führen, dass ein guter Benediktiner der ist, der dem Gerüst dieser Regelungen getreu folgt. Wenn das Gerüst allerdings Gerüst bleibt, dann bleiben die Gebete ... Gebete, ohne dass sie zum Beten werden. Es kann dahin kommen, dass man vor lauter Gebeten nicht mehr zum Beten kommt. Es mag die Gebetsmühle regelmäßig klappern im Murmelchor der Mönche, - aber dass das im Gottesrausch geschieht, ist damit noch nicht garantiert.
Neben dem Gebet der Gemeinschaft kennt Benedikt das Gebet des einzelnen und damit verbunden die Verantwortung des einzelnen für sein Beten (RB 18 u. 19). Der Novize wird in einen Raum des Lernens – der meditatio – geführt (RB 58,5). Auch der „erwachsene“ Mönch soll die Lesung pflegen (RB 48,4) und Psalmen und Lesungen einüben (RB 8,3). Das ist sicher zunächst einmal sehr praktisch gemeint, aber ebenso gewiss schwingt da die Suche nach Gebetstiefe mit. Dazu bedarf es das geneigte Ohr des Herzens (RB Prolog 1). Wie man Christsein nicht irgendwann schließlich „hat“ und „kann“, so wird man auch Beten nicht irgendwann einmal „können“. Man bleibt immer Jünger, und nur einer ist der Meister. Die niederländische Sprache hat für das Wort „Jünger“ das schöne Pendant „Leerling“. Wir bleiben als Betende Lernbedürftige und hoffentlich Lernhungrige. Wir bleiben Lehrlinge des Gebetes.
Die biblische Tradition hat uns den Schatz der Psalmen geschenkt. Die Kirche hat diesen Schatz als ihr Gebetbuch entdeckt und bewahrt. Wir Mönche nutzen und pflegen es. Die Psalmen sind uns Lehrbuch des Betens. Sie sind es nicht in einer schönen Gebetstheorie. Sie sind es in ihrem gebeteten Wort. Sie sind „narrative Gebetstheologie“, indem sie uns ein Tor öffnen, um uns Einblick in den Gebetsraum und Gebetstraum der Alten zu gewähren. Sie sind eine Werkstatt, deren Geräte uns einladen, sie in die Hand zu nehmen und mit ihnen unser eigenes Werkstück „Beten“ zu erarbeiten.
Der Gründer und langjährige Dirigent des großen „Philharmonischen Chores Köln“, Prof. Röhl, hat mir einmal gesagt: „Das wichtigste beim Singen ist ... der Bleistift. Das zweitwichtigste sind ... die Ohren. Und wenn einer eine gute Stimme hat, ... ist das auch nicht schlecht.“ Ich wünsche uns Benediktinern und allen, die die Psalmen lesen und beten, dass sie Bleistifte und Ohren spitzen und nutzen, um Gott zu hören und sich seine Botschaft ins Herz zu schreiben. Und wenn wir so an den Psalmen, - und vielleicht sogar die Psalmen beten lernen, ist das auch nicht schlecht.
Abt Albert Altenähr OSB
2005-05-10