Elemente für eine monastische Pastoral
Verkündigung in Gelassenheit
Die folgenden Gedanken skizzieren einige Akzente der Seelsorge, wie sie sich aus der klösterlichen Berufung herauskristallisieren. Sie stellen das Kloster und seine Gemeinschaft in das Zentrum monastischer Pastoral. Das Leben der Gemeinschaft ist der vorrangige „Text“, in dem missionarisches Christsein buchstabiert wird. Das Zeugnis „Kloster“ ist Einladung, Christsein im eigenen Versuch zu wagen. In diesem Kontext und aus ihm heraus wird der einzelne Mönch pastoral tätig.
In fünf Elementen wird das monastische Charisma auf seine Fruchtbarkeit für die Pastoral gedeutet: (1) Orientierung leben, (2) Ins Fragen locken, (3) Zu Antworten ermutigen, (4) Auf den Weg schicken, (5) Herberge für die Wegwunden.
... wie meine Oma ...
Nach der Wahl von Papst Benedikt XVI. registrierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, wie gelassen und positiv gerade die Jugend diese Wahl aufnahm. Die Papstbegeisterung der Jugend für Johannes Paul II. schien ungebrochen auch auf seinen Nachfolger überzugehen. Die FAZ zitierte in ihrem Bericht ein prägnantes Dictum, das sie noch hervorhob, indem sie es in einen kleinen Kasten setzte: „Der Papst ist wie meine Oma. Sie sagt immer dasselbe. Ich tue meist ganz was anderes. Aber ich weiß, im Prinzip hat meine Oma recht.“
Man kann natürlich über die „Verantwortungslosigkeit“ des hier formulierten Lebensprinzips den Kopf schütteln. Wenn du weißt, dass deine Oma recht hat, warum handelst du nicht entsprechend? Als Tatsachenbeschreibung nehme ich die Aussage aber einfach so, wie sie formuliert wurde. Und ich freue mich, dass der oder die Jugendliche am Ende bekennt: „Ich weiß, im Prinzip hat meine Oma recht.“ Ich erkenne hier so viel Positives, dass es mein Denken und Sinnen leicht macht. Ist das leichtsinnig?
Orientierung leben
Ich habe immer wieder den Eindruck, dass dort, wo von „Verkündigung“ die Rede ist, ganz schnell – oft viel zu schnell und ausschließlich – von Wortverkündigung und Tatverkündigung die Rede ist. Verkündigung geschieht von den Kanzeln und in den Taten der Caritas. Das caritative Feld hat dabei noch die größere Chance, einen Funken überspringen zu lassen, - die Wortverkündigung vor allem dort, wo sie zur Tat für den Nächsten aufruft.
In den Hintergrund wird verdrängt oder als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Worte und Taten ihre Stimmigkeit erst durch eine Tiefenwurzel gewinnen. Es muss in mir eine Quelle leben, aus der heraus Wort und Tat ihr Profil gewinnen ... und umgekehrt.
Zwar wird immer wieder gesagt, die Taten seien es doch, die Christsein ausmachen, aber auf der anderen Seite scheint genauso deutlich gespürt zu werden, dass der enge Blick auf die Taten auch zu einem allgemeinen „Gutmenschentum“ führen kann, das noch unendlich viele Fragen offen lässt. Es ist ein frei dahin treibendes Menschsein, das weder einen Heimat- noch einen Zielhafen kennt. Das Gespür für das Fehlen eines Lebenskompasses scheint in der Lebensmitte zu wachsen, - dann, wenn (fast) alles erreicht ist ... und dies alles vorne und hinten nicht reicht.
Klöster behaupten von sich – und irgendwie wird ihnen das abgenommen und zugetraut -, einen Kompass,- ja, sogar die Mitte zu kennen. Sie verstehen sich als Gemeinschaften, die „von woandersher“ gegründet und „woandershin“ zielgerichtet sind. Sie setzen alles auf diese Karte und versuchen „zuerst das Reich Gottes“ zu buchstabieren und von daher den (Kon-)Text des Lebens zu lesen. Klösterliche Berufung ist in diesem Sinn zunächst gar nicht extrovertiert missionierend, aber es ist wohl gerade das Nach-innen-gerichtet-Sein, das sie missionarisch werden lässt. Ihr Dasein spricht von etwas und sagt etwas, bevor und ohne dass sie es lautstark auf die Kanzeln bringen.
In einer monastischen Pastoral ist der vorrangig „Verkündende“ die Klostergemeinschaft als ganze. Das gilt von Männerklöstern mit Priester und Nicht-Priestern. Das gilt in gleicher Weise von Frauenklöstern. Jeder einzelne trägt seinen Teil zum Bild und zur Botschaft „Kloster“ bei. Das gibt j e d e m eine ganz große Chance und nimmt ihn gleicherweise in die Pflicht. Der einzelne kann sich aus dieser Verkündigungsgemeinschaft nicht herausnehmen, - es sei denn, er verlässt die Gemeinschaft. Und zumindest dieser Schritt ist noch ein Zeugnis der Gemeinschaft. Es ist ein Glied der Gemeinschaft, das nun einen Weg außerhalb der Gemeinschaft sucht.
Diese Sicht einer monastischen Pastoral greift zurück auf das frühe Mönchtum und die attraktive Kraft seines Zeugnisses. Sie bindet Pastoral nicht an das Amtspriestertum und eine kirchenamtlichen Legitimation, sondern an das Zeugencharisma, das im sog. allgemeinen Priestertum seine Wurzeln hat. Sie glaubt daran, dass nicht dieser und jener in der Gemeinschaft einen pastoralen Dienst wahrnimmt, andere aber nicht, sondern dass Mönchtum und Mönchsein an sich Verkündigung ist und pastorale Wirkung hat.
Ins Fragen locken
Eine der großen Formulierungen in der Regel Benedikts ist seine Prüffrage an den Neueintretenden „ob er wirklich Gott sucht“ (RB 58,7). Am Ende seiner Regel beschreibt er den, der seiner Regel folgt – also den „gelungenen“ Mönch – als einen, der einen bescheidenen Anfang auf dem Gottesweg macht. (RB 73,1). Wenn man das ernst nimmt, dann ist der gerade so genannte „gelungene“ Mönch nie ein „fertiger“ Mönch, sondern stets ein Mönch „im Werden“.
Als „Werdender“ ist der Mönch naturgemäß begleitet von Gefährdungen, von Fragen und Zweifeln. Als Tatsachenbeschreibung ist das gewiss eine Selbstverständlichkeit, die nur in einer idealisierten Sicht von außen verwundert. Wenn solche Offenheit für den Prozess „Mönch im Werden“ aber in der Theorie „eigentlich“ als unerhört und unziemlich betrachtet wird, dann muss gefragt werden, ob Mönchtum nicht ideologisiert und ins magisch Habbare verfälscht wird. Der „perfekte“ Mönch ist ein Konstrukt menschlichen Größenwahns und seines Allmachtglaubens. Mönch ist man als „Mönch im Versuch“, - als „Mönch im Suchen“. So wird jeder Schritt nach vorn als Geschenk von woandersher erfahr- und sichtbar.
Wenn und wo diese Sicht im Bewusstsein lebendig ist und ins Leben hinein übersetzt wird, da wird sich Solidarität über den Grenzzaun des Klosters entfalten. Diesseits und jenseits der Klausurmauer sind dieselben Fragen und ist dieselbe Sehnsucht nach der Mitte lebendig. Dass sie innerhalb des Klosters als bewusster Cantus firmus des Alltags gepflegt wird, ist kein qualitativer Unterschied zum Leben draußen. Salopp gesagt, ist es im Kloster „wie im richtigen Leben“. Das Andere im Kloster ist nicht eine ganz andere Frage, sondern die Intensität, in der die Frage jeden Menschenlebens – die Frage nach der Mitte des Lebens -, in die Mitte des Lebens hineingeholt wird. Wenn das so ist, dann darf vielleicht spitz gefragt werden, ob das „richtige Leben“ nicht doch eher in den Mönchsgemeinschaften stattfindet als draußen vor den Klostermauern. Das Angebot an Zeitvertreiben und das Aufgehen in ihnen vertreibt mit der Zeit auch den Lebensgrund. In der babylonischen Vielfalt der Möglichkeiten liegt die Gefahr der babylonischen Gefangenschaft in den Scheinantworten über das Leben. Der Lebenshunger wird nicht gesättigt. Die Lebensluft wird dünner und dünner. Man mag „high“ sein, aber ist man auf der Höhe der Lebensfrage?
Benedikts „ob er wirklich Gott sucht“ deutet an, dass der Mönch nicht irgendwie irgendwo irgendetwas sucht, sondern die Quelle und den Schatz, aus dem heraus Leben gelebt werden kann. Benedikt scheut sich nicht, die Quelle in Gott oder noch konkreter in Jesus Christus zu glauben. Auf ihn geht er hin. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern das Finden. Mit aller Intensität an einem gegebenen Lebensort sucht er den Durchbruch zu diesem Schatz Jesus Christus. Das Kloster, seine Gemeinschaft, sein Gottes- und Christusbekenntnis und deren Feier ist der inkarnatorische Punkt, wo der Mönch seiner Sehnsucht Hand und Fuß, - Fleisch und Blut gibt. Jetzt und hier - nicht morgen und irgendwoanders - geschieht Konkretion.
Als Suchender und Fragender ist der Mönch einer, der die Suchenden und Fragenden draußen nicht von oben betrachtet. Er sieht sich und sie auf demselben Weg. Ihre Fragen sind auch die seinen. So kann er die fremden Fragen zulassen und aushalten, denn sie sind ihm selbst nicht fremd.
Wo sich Kloster als Fragegemeinschaft versteht und zu erkennen gibt, da senkt sich die Schwellenangst der Fragenden draußen. Sie ahnen und spüren vielleicht sogar, dass sie hier einen Ort finden können, wo sie ihren eigenen Tiefen-Fragen nachgehen und sie formulieren dürfen. Sie sind willkommen, so wie sie sind. Das Zuhause der Mönche bietet sich Ihnen dar als ein Haus, wo sie anklopfen und ein Wegstück mitleben/gehen dürfen.
Das Bild der beiden Emmausjünger, die sich gegenseitig in ihrem Fragen begleiten, ist ein treffendes biblisches Bild für eine monastische Pastoral. Dass sich im Miteinander des Emmausklagens und –fragens und der Weggefährtenschaft der Horizont zur Klarheit weitet, - zu einem Dach für die Nacht und zur personalen Begegnung mit dem ersehnten Du des Meisters, ist die Verheißung der Emmausgeschichte.
Zu Antworten ermutigen
In der Emmausgeschichte gesellt sich den beiden Jüngern ein Dritter bei. Zunächst ist er einer, der den Jüngern, denen alles, was sie mit Jesus erlebt hatten, ziemlich fragwürdig und denen die Zukunft ohne ihn zur Lebensfrage geworden ist, selbst Fragen stellt. Er ist Fragender mit den Fragenden. In diesem Hin-und-Her lässt er Antworten aufblitzen, die den Jüngern die Augen öffnen für Altbekanntes, das sie so noch nie gesehen hatten.
Das Gespräch unterwegs lockt die Jünger in die persönliche Reaktions-Antwort. Die Jünger selbst geben Antwort: „Bleibe!“ Es ist die Antwort der Erkenntnis, dass sich der Austausch auf dem Weg so weit gelohnt hat, dass sie mehr hören und erfahren wollen. Sie machen weitere Erfahrungen und ziehen eine weitere Konsequenz: Sie gehen nach Jerusalem zurück und erzählen von dem Erlebten.
Eine monastische Pastoral ist vor allem eine erzählende Pastoral, die Erfahrung lebt und in der den Erfahrungen Raum geboten wird. Das Kloster präsentiert sich als ein Ort, an dem Menschen (Mönche) Erfahrungen mit ihrem Glauben gemacht haben. Sehnsucht nach stärkender Erfahrung ist es, was die meisten Besucher zu ihnen hinzieht.
Als erzählende Pastoral lässt die monastische Pastoral den Gesprächspartner in die Welt des Gegenübers hineinschauen. Der Mönch spricht in dieser Begegnung nicht so sehr über die Theorie der Wahrheit, sondern er bringt sich selbst und seine Erfahrung in der Begegnung mit der Wahrheit (Gott) ins Gesprächsspiel ein. Damit macht er sich natürlich verletzlich, zumal dann wenn die eigenen Grenzen, das Stolpern und auch das Versagen und Scheitern nicht hinter einer Hochglanzfassade versteckt werden.
In der Regel Benedikts entdecke ich eigentlich herzlich wenig heilige Mönche. In der Summe scheint Benedikts Kloster, aus dem heraus und für das er seine Regel schrieb, eine Ansammlung von durchaus schwierigen Charakteren gewesen zu sein. Sie haben ihrem Abt Benedikt die Leitung der Gemeinschaft nicht zu einem heiteren Osterspaziergang werden lassen. Vielleicht darf man sogar sagen, dass Benedikt für heilige Mönche gar keine Regel geschrieben hätte. Indem Benedikt nicht das Idealkloster beschreibt und die Schattenmöglichkeiten und –wirklichkeiten nicht ausblendet, ist seine Regel geerdet menschlich und Normalmenschen-nah. Der Mönch bleibt, wieweit immer er auf dem Weg der Vollkommenheit auch gelangt sein mag, Lehrling des Reiches Gottes. Daran nicht verzweifeln zu müssen, ist die gute Erzählung – sprich: das Evangelium – seines Mönchslebens.
Das Gespräch ist für beide Seiten bereichernd. Man stellt Fragen, - spricht aus dem Horizont des eigenen Erlebens andere Möglichkeiten an, - gibt sich selbst und dem anderen Zeit, das Gehörte sacken zu lassen und entdeckt oft einen Spalt oder gar einen ganzen Weg für neue Antworten. Eine monastische Pastoral „gibt“ keine Antworten, aber sie vertraut darauf, dass Antworten „gefunden“ werden können. Und sie ermutigt dazu, den nächsten erkannten Antwortschritt zu gehen. 1500 Jahre monastischer Tradition unterfüttern die eigene Erfahrung im Mönchtum mit den vielen kleinen nächsten Schritten. Nicht jeder Schritt gelingt, aber er ist immer einen Versuch wert.
Auf den Weg schicken
Im Johannesevangelium wird die Geschichte der Auferweckung des Lazarus erzählt (Joh 11). Ich bin immer wieder neu beeindruckt von der Endpassage dieser Erzählung: „Jesus rief mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden, und lasst ihn weggehen!“ (V. 42f [Einheitsübersetzung]). Jesus fordert zunächst den Toten auf „Komm heraus!“ und dann die Umstehenden „Erlöst, - entbindet, - entwickelt, - enthüllt ihm das Sehen!“ und „Lasst ihn weggehen!“ In meiner Zusammenfassung habe ich bewusst die Wörter aufgegriffen und abgewandelt, die die Einheitsübersetzung verwendet. Diese Umverwandlung kann und will einen assoziativen Denkprozess anstoßen. Sie stellt das Gewohnte in neues Licht.
Am Anfang spricht Jesus den Toten an, dann die Umstehenden. Ihnen teilt er ganz wesentliche Aufgaben in dem zu, was an Lazarus geschehen soll: Geburt / Entbindung, - Wachsen / Entwicklung, - Profilgewinnung / gebt ihm Gesicht, - Erlösung / löst die Binden. Abschließend heißt es dann: „Lasst ihn weggehen!“
Die Schlussaufforderung „Lasst ihn weggehen!“ ist für eine monastische Pastoral sicher eine besonders wichtige und immer wieder neu ins eigene Bewusstsein zu hebende. Sie warnt davor, sich als Gemeinschaft und als einzelner als Heilsguru zu verstehen und den aus dem „Tod“ Gelösten in eine neue Abhängigkeit zu zwängen. Sie traut dem anderen zu, dass er gehen kann, - dass er einen Weg gehen kann und ihn gehen muss. Der andere muss nicht unseren Weg gehen, sondern den seinen finden. Monastische Pastoral entlässt nicht aus der Verantwortung, den Weg zu finden und zu wagen. Dieser Auftrag schließt auch ein, die eigene Verantwortung für den eingeschlagenen Weg wahrzunehmen. Zu all dem will monastische Pastoral helfen.
Natürlich will die Klostergemeinschaft so attraktiv sein, dass Menschen auch den Mut finden, sich ihr unmittelbar als Mitglieder anzuschließen. Das Zeugnis „Kloster“ zielt aber nicht auf die Anwerbung von Eintrittskandidaten ab, - dient also nicht einfach der Selbsterhaltung. Das Zeugnis gilt dem Reich Gottes und Jesus Christus, seinem Grundzeugen. Sich nicht auf die Selbsterhaltung zu fixieren, verlangt eine große innere Freiheit. Gleichzeitig schenkt sie aber eben genau diese Freiheit. Und vielleicht ist es gerade solche Freiheit, die ein Kloster attraktiv macht.
Man darf in diesem Zusammenhang wohl auch das Wort aus dem orthodoxen Mönchtum variieren: „Fragt nicht nach der Zahl der Novizen, sondern ob ihr geistliche Väter in euren Reihen habt!“ Die sich von der geistlichen Botschaft des Klosters berühren lassen und denen diese Botschaft Wegweisung wird, dürfen – zumindest in einem weiteren Sinn – durchaus als Berufungen des Klosters betrachtet werden. Sie sind keine Fremden, sondern wirklich Nächste, - ganz nahe Stehende. Sie sind drinnen, wenn auch ihr Lebensalltag draußen verläuft. Sie gehören zu den Schwestern und Brüdern, die am Ende eines jeden Choroffiziums in die Gebetszeit bewusst hineingebetet werden: „Die Hilfe Gottes sei allezeit mit uns. ... Und mit unseren abwesenden Brüdern und Schwestern.“
Herberge für die Wegwunden
In einem Gedicht schreibt Nelly Sachs von König David: „Aber im Mannesjahr maß er, ein Vater der Dichter, voll Verzweiflung die Entfernung zu Gott aus, und baute der Psalmen Nachtherbergen für die Wegwunden.“ Faszinierend stellt sie den viel idealisierten Dichterkönig als einen Mann dar, der Verzweiflung kennt und die Erfahrung der Entfernung zu Jahwe hin nicht ins Kleine hinein wegtüncht. Und genau dieser ob der Gottesferne Verzweifelte baut Herbergen, die anderen in ihrer Nacht und ihren Weg-Verwundungen einen Ort zum Durchatmen und Atemholen geben. Die Emmaus-Herberge der beiden Jünger, die zwischen sich und Jerusalem die Entfernung größer und größer werden sehen, kann man am Bildhorizont der Nelly Sachs erahnen.
Davids Psalmen und das Brotbrechen vom Emmaus-Abend prägen den Tag des Klosters. Sie sind zugleich Rahmen und Mitte des Klosters, die ihm Struktur und Profil geben. Sie machen den Unterschied aus zwischen einem Kloster und neutralen vier Wänden einer anderen Unterkunft. Von ihnen sind die Menschen geprägt, die „Kloster“ leben, - die Mönche. Das macht die Atmosphäre des Klosters aus.
Monastische Pastoral ist davon überzeugt, dass diese Atmosphäre der erste und wichtigste Aktivposten ihrer Seelsorge ist. Das einfache So-Dasein ist das grundlegende Tun einer monastischen Pastoral. In ihm geschehen Beobachtungen, Begegnungen und Gespräche, die durchaus nicht immer fachgeprägt „seelsorglich“ sind, aber die Seele erreichen. Die Erfahrung zeigt, dass oft Mitbrüder, die nach ihrem eigenen Eindruck nur wenig oder gar nichts mit den Gästen zu tun haben, entscheidende Eindrücke hinterlassen. Und immer wieder geschieht es auch, dass Gäste, die durch regelmäßige Besuche mit dem Kloster vertraut sind, ganz wichtige Schlüssel sind, die den tastenden Neu-Gast aufschließen. In diesem Sinn ist monastische Pastoral nicht eine Aufgabe, mit der ein einzelner beauftragt oder die von einzelnen wahrgenommen werden kann, sondern sie ist in ihrem Wesen gemeinschaftsgebunden.
Was Reiner Kunz in seinem Gedicht „Pfarrhaus“ schreibt, kann auch vom Kloster gesagt werden, das sich an eine Pastoral herantastet, die aus seinem Charisma – dem Kloster-Sein – herauswächst: „Wer da bedrängt ist findet / mauern, ein / dach und // muß nicht beten." Er geht wieder weg, ... vielleicht kommt er wieder, ... und möglicherweise findet er zu dem, was ihm nicht aufgedrängt wurde: zum Gebet und zu Gott.
... und Gott gewinnt sie doch ...
Mit einem „Enkel“ habe ich meine Gedanken begonnen. Ich will sie mit einer „Oma“ enden. Die alte Dame hat mir vor mehr als 25 Jahren mehr als einmal gesagt: „Ich habe gute Kinder, aber keines geht zur Kirche. Das macht mir aber keine Sorge. Gott kriegt sie doch, - nicht auf die Art, wie ich mir das wünsche, und nicht zu dem Zeitpunkt, wie ich das hoffe. ... aber er kriegt sie.“ Lächelnd sagte sie es so und jedes Mal schloss sie: „Halleluja!“ Dem jungen Pater damals ging dieser Halleluja-Optimismus einigermaßen auf den Nerv. Inzwischen gehöre ich selbst der „Opa-Generation“ an und ich denke, die alte Dame hatte nicht Unrecht. Sie war gelassen und traute Gott unendlich viel zu.
Abt Albert Altenähr OSB
2005-05-31